«Da kann ich mich voll verausgaben»
Niederwil: Svenja Halbheer ist mit 14 Jahren eines der grössten Schweizer Jugendtalente im Judo
TEXT UND BILD: STEFAN BÖKER
Weil während des Corona-Lockdowns kein Training möglich war, hatte sich Judoka Svenja Halbheer in der erzwungenen Pause allein mit anderen Kampfsportarten beschäftigt. Seit Juni kann sie wieder im Nationalen Leistungszentrum in Brugg trainieren. Dort gehört sie zu den Jüngsten, was sie besonders fordert. Erst 14-jährig ist sie derzeit als die beste Schweizer Judokämpferin bei den U18 gesetzt.
«Sie gehen nicht zimperlich mit ihr um», berichtet Svenja Halbheers Mutter Chantal vom Training mit den teilweise mehrere Jahre älteren Judokas am Nationalen Leistungszentrum. Die Besten aus der deutschsprachigen Schweiz, von U15 bis hin zu Elite-Kämpferinnen, werfen sich hier gegenseitig auf die Matten. Ihre Tochter komme dann mit blauen Flecken nach Hause und strahle. «Sie ist so ehrgeizig und fokussiert, sie zieht ihr Ding mit allen Konsequenzen durch», sagt die Mutter bewundernd. Svenja hingegen meint: «Die Älteren nehmen Rücksicht auf mich – und ich kann voll einsteigen bei den Trainingskämpfen.»
Kampfsport begeisterte sie sofort
Chantal Halbheer kann sich noch gut an die ersten Schritte ihrer Tochter in der japanischen Kampfsportart erinnern. Da war sie noch im Kindergarten. Dass Svenja innert weniger Jahre eine derart rasante Entwicklung hinlegen würde, hätte sie damals nicht gedacht. Zuletzt kämpfte Svenja Anfang des Jahres bei Turnieren in Oensingen und Morges. Während sie in Oensingen als beste Kämpferin bei den U15 wie U18 vom Feld ging, trat sie in Morges nur bei den U18 - 57 Kilogramm an und wurde ebenfalls Beste. «Mir macht das fast ein bisschen Angst», meint die Mutter. «Ihre Gegnerinnen sind bis zu drei Jahre älter, erfahrener und vereinzelt Mitglieder des Nationalkaders U18... und Svenja hat verdient gewonnen. Vom kleinen Mädchen ist nicht mehr viel übriggeblieben.»
Dann kam Corona, und alle weiteren für das laufende Jahr geplanten Wettkämpfe fielen aus. So kommt es, dass Svenja Halbheer derzeit bei den U18 auf Platz eins steht und sich damit für die Schweizer Meisterschaften im November qualifiziert. Ob diese allerdings stattfinden, ist ungewiss. Svenjas Ziel dagegen ist klar: «Ich möchte an den SM bei den U18 eine Medaille holen.» Seit einem Jahr besucht sie die Sportschule Suhrenmatte in Buchs-Aarau. Seitdem trainiert die junge Judoka bis zu 17 Stunden die Woche. «Es hat einige Monate gedauert, mich an diese neue Belastung zu gewöhnen», erzählt Svenja. In der erzwungenen Corona-Pause befürchtete sie, ihren neu erarbeiteten Fitness-Level wieder zu verlieren – also trainierte sie umso härter. Zusätzlich zum Trainingsplan mit Kraft-, Ausdauer und Akrobatikübungen kopierte sie Bewegungsabläufe anderer Kampfsportarten aus Youtube-Videos, um bestimmte Körperpartien zu kräftigen, die auch im Judo wichtig sind. Als Trainingspartner für Judo-Griffe musste die liebe Familie herhalten. «Svenja hat mit mir einen Würgegriff ausprobiert. Ich hatte drei Tage lang Striemen am Hals», erinnert sich die Mutter lachend.
Nach ihren grössten Erfolgen befragt, nennt Svenja den Sieg beim Adler Cup in Frankfurt. Dort bekam sie eine ungewöhnlich riesige Medaille. «Dass ich gleich bei meinem ersten Wettkampf U18 Siegerin wurde, war auch mega», sagt der Teenager. Ihre schlimmste Verletzung bisher war am Ellenbogen. Sie musste den Arm in einer Schiene tragen und trainierte trotzdem weiter, kämpfte einarmig. Ihre Mutter erklärt: «Svenja war bereits als Siebenjährige auf Wettkämpfe fokussiert und trainierte damals schon fleissig. Denn sie möchte international antreten. Ihr grosser Traum ist eine Teilnahme an den Olympischen Spielen.»
Judo liegt in der Familie
Um diesen Traum wahr werden zu lassen, unterstützen die Eltern sie vollumfänglich. Sie fahren Svenja an Wettkämpfe, auch ins Ausland oder mehrmals wöchentlich zum Taining. Vater Marcel coacht die Tochter bei den Kämpfen, denn er ist ehemaliger Judoka. Nach einem Schlüsselbeinbruch kämpft er nicht mehr aktiv. Svenjas Bruder Nils hat, angesteckt von der Begeisterung seiner Schwester, ebenfalls Judo für sich entdeckt. «Wir betreiben sehr viel Aufwand und scheuen keine Mühen», sagt die Mutter stolz. «Und lassen uns überraschen, wo Svenjas Wege hinführen.»
Bild: Svenja Halbheer (l.) trainiert am Nationalen Leistungszentrum.